Wir müssen reden ...
... wie ein Gespräch gelingt und was du darüber von Friedrich Merz lernen kannst.
Hey,
ich bin Torben. Freier Journalist, Fragensteller von Beruf. Fragen wirken wie Hammerschläge, das habe ich bei vielen meiner Recherchen gelernt. Manchmal genügt ein clever platziertes „Warum?“, um wie mit einem Vorschlaghammer Mauern einzureißen. Ein andermal braucht es wie in einer ärztlichen Untersuchung einen Reflexhammer – sanfte, klopfende Schläge –, um Gedanken und Gefühle unter der Oberfläche aufzuspüren.
Gute Fragen führen zu besseren Antworten. Wie sie das machen, darum geht's in diesem Newsletter. Willkommen zur ersten Ausgabe von GUTE FRAGE, NÄCHSTE FRAGE. Schön, dass du dabei bist.
Ein vierjähriges Kind stellt durchschnittlich 400 Fragen am Tag, um seine Umwelt zu verstehen. Je älter wir aber werden, desto weniger fragen wir, weil wir glauben, schon genug zu wissen.
Dabei können Fragen die Welt verändern, uns die Augen öffnen oder ein Leben lang begleiten: etwa an die Eltern vor dem Auszug von Zuhause (Was hält das Leben für mich bereit?), der diplomatische Dialog zwischen Gorbatschow und Reagan (Wie beenden wir den Kalten Krieg?) oder das unerwartet tiefgründige Gespräch mit einem Fremden in einer Bar, das bis in den Morgen dauert (Was verbindet uns?).
Fragend der Welt zu begegnen, ist eine Haltung. Wer fragt, signalisiert Offenheit und die Bereitschaft, zu zweifeln und Antworten anzunehmen – auch wenn sie unbequem sind – im Alltag, im Beruf oder in Beziehungen.
Nur gibt es kein Patentrezept für gute Fragen, keinen Katalog, an den man sich halten kann.
Aber keine Sorge, hier bist du genau richtig! Ich schicke dir jeden zweiten Mittwoch eine Ausgabe, in der ich …
mit Menschen spreche, die sich mit guten Fragen auskennen,
Reportagen und Artikel über Fragen unserer Zeit schreibe,
Tipps für bessere Fragen teile, die dich und mich weiterbringen,
Interviews und Bücher vorstelle, die tatsächlich lesenswert sind,
… über weiche Fragen nachdenke, die harte Schalen knacken.
Wir gehen rein! Heute: Politisches Fragen
Gerade ist Wahlkampf – nicht die beste Zeit für politischen Dialog. Parteien und Kanzlerkandidat:innen überbieten einander mit Statements. Politische Visionen sind auf Wahlplakaten zu Einwort-Programmen verknappt. In den Wahlprogrammen von SPD, Union, Grünen und LINKEN fand ich gerade mal 23 Fragen – alle rein rhetorischer Natur, mit bereits eingebauter Antwort. (z. B.: Investieren wir jetzt weiter kraftvoll in unser Land? Oder lassen wir unsere Bahn, unsere Straßen und Brücken verkommen?)
Die Gräben zwischen den Parteien sind tiefer geworden, der Ton unversöhnlicher – nicht zuletzt, seitdem Union und FDP im Bundestag mit der AfD abstimmte. Hunderttausende Menschen gingen auf die Straße, Scholz misstraut Merz öffentlich.
Klar, im Wahlkampf spitzt sich Rhetorik zu. Aber die Konsensdemokratie ist auf Kompromissen und Austausch gebaut.
Ist es damit vorbei? Wie werden Politiker:innen, Parteien und auch Wähler:innen nach der Wahl miteinander reden?
Darüber habe ich mit Dietmar Till gesprochen, Rhetorikexperte und Leiter des Rhetorik-Instituts der Uni Tübingen. Er hat den Kommunikationsstil verschiedener Politiker:innen untersucht und die Grundlagen gelungener Gespräche erforscht.
Weiter unten erklärt er, warum Friedrich Merz rhetorisch in den 90er-Jahren hängengeblieben ist – und was du trotzdem von ihm über gute Gesprächsführung lernen kannst.
Bis bald,
Torben
PS: Dieser Newsletter ist für dich und für mich. Schick mir gerne Feedback, Themenwünsche oder Kommentare … und leite ihn an alle weiter, die bessere Fragen suchen.
Dietmar Till, 2023 sagten Sie über Friedrich Merz, er sei rhetorisch in den 90ern stehen geblieben. Was meinen Sie damit?
Merz ist ein guter Redner, aber ein Kampfrhetoriker der alten Bundesrepublik. Für ihn steht die Auseinandersetzung im Mittelpunkt, nicht die Problemlösung. Er will seine Gegner:innen mit scharf formulierten Argumenten überzeugen, übertrumpfen, ja geradezu besiegen. Das war in den 90ern rhetorische Mode. Doch eine gute Rede ist wie ein Brückenbau, sie schafft Verbindungen und verändert deshalb nachhaltig. Gerade in aktuellen politischen Diskursen brauchen wir solche rhetorischen Brücken, um Polarisierungen zu überwinden, und keine Gräben.
Er kommt damit aber gut an.
Ja, wir erleben eine Art rhetorischen Backlash. Das zeigt auch der Trumpismus – eine Art der Rede, die den gewöhnlichen Standards rhetorischer Kommunikation nicht genügt. Sie operiert mit einfachen Schlagworten und Zuspitzungen. Das ist wie Fast Food für den Geist: schnell konsumiert, aber wenig nährstoffreich. Doch mit einfachen Erklärungen lassen sich die politischen Probleme der Gegenwart nicht auf der Höhe ihrer Komplexität diskutieren. Das Merz-Modell passt in die Zeit der Polykrise, in eine Phase gesellschaftlich aufgeheizter Stimmung, eigentlich nicht. Es bietet nur Standpunkte an, keine Lösungen.
Die Bundestagsdebatte über die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD dürfte in die Geschichte der Debattenkultur in Deutschland eingehen …
… In Bundestagsdebatten werden Statements präsentiert; sie zielen nicht darauf ab, in ein Gespräch zu kommen oder gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Die Debatten im Januar waren hochspannend – als Teil des beginnenden Wahlkampfs.
Wann hingegen gelingt ein Gespräch?
Ein gutes Gespräch ist eines, von dem beide Seiten etwas haben – in dem sie etwas gelernt oder eine emotionale Erfahrung gemacht haben.
Welche Funktion hat dabei das Fragen?
Fragen sind ein mächtiges Instrument. Ihre Grundfunktion ist: Ich will etwas wissen. Informationsfragen helfen uns, uns zu orientieren – etwa: „Wie gelange ich ins Stadtzentrum?“ Offene Fragen hingegen, wie „Was bewegt dich?“, eröffnen die Möglichkeit für einen echten Dialog zwischen Fragendem und Antwortendem. In der Rhetorik sprechen wir von Kokonstruktion: Was im Gespräch entsteht, erarbeiten beide Seiten gemeinsam. So gesehen sind Fragen eine Grundfigur der Demokratie. Sie helfen uns, nicht im Echoraum der eigenen Meinungen gefangen zu bleiben.
Welche rhetorischen Macken können Sie nicht ausstehen?
Suggestivfragen. Sie dienen lediglich dazu, die eigene Meinung zu bestätigen. So entsteht kein echtes Gespräch. Leider sind sie weit verbreitet, etwa in Talkshows. Markus Lanz ist jemand, der so lange insistiert, bis die Gäste seiner Meinung zustimmen. Manchmal macht es Spaß, dabei zuzusehen, oft nervt es einfach nur – denn es gibt keinen Informationswert, nur die Lust am Streit. Man verlässt das Gespräch so, wie man hineingegangen ist.
Wer stellt gute Fragen?
Roger Willemsen – er war der Beste. In seinem Interview mit Helmut Schmidt zeigte er eindrucksvoll, wie man mit Respekt, klugen Fragen und echtem Interesse tiefe Einsichten gewinnen kann. Er hatte eine intellektuelle, nahbare Art, Fragen zu stellen, und zeigte seine Interviewpartner in ihrer Ganzheit. Willemsen war wie ein Bildhauer: Mit jeder Frage schlug er etwas vom Rohmaterial ab, bis der Kern sichtbar wurde. Er sprach mit seinen Gästen, er fragte sie nicht aus. Er war das Gegenmodell zu Lanz.
Tipps für bessere Fragen im Alltag?
Es geht um die einfachen Dinge. Erstens: Nachdenken, bevor man fragt. Auch Fragen können verletzen. Zweitens: neugierig sein – das heißt, nicht schon eine Antwort im Kopf haben. Und zuletzt: Respekt vor den Gesprächspartner:innen, ihren Lebenswegen und Gedanken. Gute Fragen drängen nichts auf. Sie machen den Raum nicht eng, sondern ermöglichen Austausch in einer gleichberechtigten Beziehung. Ein gutes Gespräch ist wie ein Tanz und nicht wie ein Duell.
Interessantes Interview bei dem allerdings der Fokus „nur“ auf Fragen/Antworten in einem Diskurs gelegt ist. Ergänzend wäre die Behandlung der Selbstreflexion wichtig, bei der ich mir die Antworten zu meinen Fragen in Bezug auf meine Person, mein Handeln, meine Gedanken etc. selbst, und in dem Fall ohne einem externen Korrektiv , erarbeiten bzw. geben muss. Schwieriges Unterfangen.